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Mittwoch, den 13. Dezember

Vertretung im 8. Jahrgang.
„Ich gehe davon aus, dass ihr Aufgaben habt.“
„Nein, haben wir nicht.“
„Umso besser. Kriegt ihr eine Aufgabe von mir.“ Ich bin kein großer Freund von Fremdaufgaben.
Jetzt winden und räkeln sie sich in ihren dicken schwarzen Jacken; die Mädchen beginnen zu kramen.
Natürlich haben sie doch Aufgaben. Englisch, Workbook, Mappen in Ordnung bringen, Mathe, irgendwas. Es kommt Bewegung in die Gruppe.
Nur einer sitzt da, wie an der Bushaltestelle, Beine von sich gestreckt, Walkman hörend.
Ich bedeute ihm wortlos, die Kopfhörer abzunehmen. Das passiert nicht. Er guckt mich teilnahmslos an. Gut aussehender Typ, dunkles gewelltes Haar, aber von brutaler Glätte. Cool.
„Du sollst deinen Walkman abnehmen.“
Konnten Sie ja gleich gesagt haben, entnehme ich seinem Blick.
„Wo ist deine Aufgabe?“
„Ich fang schon an.“
„Ich seh nichts.“
Er nimmt seinem Nachbarn halbwegs das Heft weg und mimt emsiges Arbeiten. Ich mache ein paar deutliche Worte, da bequemt er sich, kramt in der eigenen Tasche.
Andere scheinen mit ihren Aufgaben tatsächlich fertig zu sein, zwei Mädchen. Sie wollen mein Arbeitsblatt. Lichtblick in einer so rabaukigen Klasse,
„Was sollen wir damit machen?“ Auch sie rotzig, fordernd.
„Schaut euch das Blatt genau an, dann wisst ihr’s.“
Ein Blick zurück zur bollerigen Jungenbank. Der Typ sitzt weiter da, ohne Aufgabe, ohne Heft. Ich fixiere ihn. Allmählich muss es losgehen, heißt das.
Es geht aber nicht los. Ich helfe eben den Mädchen über die ersten Hürden des Blattes. Dann nehme ich ihn mir vor.
„Wer ist dein Klassenlehrer?“
„Hab ich nicht.“
„Wer ist deine Klassenlehrerin?“
„Hab ich nicht.“ Er will auf ‘Kerngruppenlehrer’ hinaus. Arschloch.
„Wer ist deine Kerngruppenleitung?“
„Weißfels.“ Ich erspare mir kleinliche Korrekturen. Weißfels, Kerngruppenleiter, zugleich Jahrgangsleiter.
„Genau da gehen wir jetzt hin.“
Ungläubiges Lachen. Verständnisloser Blick in die Runde. Was will der Alte? Was sollen wir bei Weißfels? Ist was passiert?
„Bitte!“
Auf dem Flur „keine Diskussion“. Ich halte Ausschau. Nichts schlimmer als jetzt niemanden anzutreffen.
Aber Weißi ist da, nicht im Unterricht, nicht beim Stundenplan, den er seit Beginn des Schuljahres schwerpunktmäßig besorgt. Er quert gerade weit hinten den Flur. Mit sparsamer Geste winke ich ihn heran. Nur nicht aufgeregt wirken.
Von Jahrgangsleitern wünsche ich mir in solchen Situationen ein Höchstmaß an Dienstlichkeit. Also keinen launigen Einstieg nach dem Muster: ‘Na, wen haben wir denn da schon wieder? Muss das wirklich sein, Patrick, Kevin, dass wir uns täglich hier treffen?’ Plumpe Vertraulichkeit, die im Klartext heißt: Wir wissen doch längst, was für ein Lauser du bist! Was musst du dem armen Kollegen Bauer das Leben schwer machen!
Patrick, Kevin heißt in unserem Fall Kafir oder Nedir oder ähnlich. Er setzt sich lässig auf den ihm zugewiesenen Stuhl im Lehrerzimmer und antwortet auf die Frage, was wohl seine Mutter zu dem – erneuten – Vorfall sagen werde.
„Gar nichts. Sie wird lachen. Das war doch kein Vorfall.“
Weißi lässt das durchgehen. Ja, habe ich nicht gerade von Renitenz, provokativem Verhalten, Arbeitsverweigerung gesprochen? Muss ich mich wiederholen?!
„Du willst nicht arbeiten, höre ich“, das hätte ich gesagt, „Zudem erlaubst du dir allergrößte Unverschämtheiten. Marsch zurück in die Klasse! Wir formulieren derweil einen Bericht für die Schülerakte. Nach der Stunde legst du mir deine Mappe vor.“ Handbewegung: Entfernen!
So aber geht es hin und her, gipfelt in ungeahndeten Impertinenzen und uneinhaltbaren Drohungen. Schrecklich!
Wieder im Flur richte ich mich tonlos an den Schüler, er möge ohne jegliches Gespräch nach rechts oder links unverzüglich an die Arbeit gehen.
Das geschieht.
Nach fünf Minuten freilich sitzt Kedir wieder vor blankem Tisch.
„Bin fertig“, sagt er.
Also: mein Arbeitsblatt. ‘Der Ring des Polykrates’, mit jeweils fehlenden zweiten Reimgliedern:

Er stand auf seines Daches Zinnen,
Er schaute mit vergnügten ……

Mir wird angst und bange. Kedir greift sich das Blatt („Eh, Alter, das ist ja ein Gedicht. Cool“) und vertieft sich zum Schein in die erste Doppelzeile. Ich nehme ihn für sein Interesse – auch das eine Art Verstellung – beim Wort, stehe ganz dicht bei ihm.
„Und? Was schreibst du in die erste Lücke?“
„Sinnen. Ich bin schon bei der zweiten.“
„Also?“
„… begann er zu Ägyptens Herrscher.“
„Biste verrückt. Es muss sich doch auf ‘untertänig’ reimen!“
Ich weiche nicht von seiner Seite. Bis die erste Strophe komplett ist. Die Mädchen, die sich auch schwer tun, vertröste ich mit Seitenblicken.
„Getroffen sank dein Feind vom Pferde / Mich sendet mit der frohen Märe.“
Nicht schlecht, aber wie wär’s mit einer Waffe: Schwerter, Pfeile, Spieße, so etwas?
Als es gongt, ist man hier wie da nicht viel weiter gekommen als ‘zum schwarzen Becken / Noch blutig, zu der beiden ……’.
Vergeudete Aufgabe, vergeudetes Blatt. Wird fünffach irgendwo im Papierkorb, oder daneben, landen. Dennoch gehe ich versöhnt aus der Klasse. Hab ja das Rezept gefunden, wie ich ab sofort die abgebrühtesten Schüler zur Räson bringe. Schiller. Das Gedicht als moralische Veranstaltung.
Vielleicht brauchen sie einfach mehr Klasse. Klassik.


 

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